
Gastautorin: Alyssa Berlin, Doktorin der Psychologie
Ich möchte Ihnen einige Prinzipien nahelegen, die Sie als Eltern glücklich, und Ihre Erziehung effektiv machen. Bevor ich damit anfange, möchte ich Sie aber wissen lassen, dass ich fest davon überzeugt bin, dass Ihre Fähigkeit, für andere zu sorgen, sei es Ihr Partner oder ein Kind, davon abhängig ist, dass man für sich selbst sorgt. Wenn Sie völlig ausgebrannt sind, gibt es nichts, was Sie anderen geben könnten.
Ich stelle immer wieder fest, dass vor allem Mütter Scham darüber empfinden, sich selbst etwas Gutes zu tun, ganz so, als dürfe es einfach nicht sein, dass sie auch Zeit für sich brauchen. Gerade erst gestern fragte mich eine Freundin, was ich an diesem Morgen getan hätte, und als ich dann meinte, mein Mann sei mit den Kindern draußen, damit ich auch mal meine Ruhe habe, lautete ihre Antwort: „Echt jetzt? Brauchst du das auch?“ Die Antwort lautet ja, und zwar ohne Ausnahme. Wir alle müssen manchmal unseren Akku wieder aufladen, und ich gebe Ihnen hier und jetzt die Erlaubnis, sich um sich selbst zu sorgen. Ihr Partner und Ihre Kinder werden es Ihnen danken. Damit wäre diese Frage erledigt.
Im Folgenden nun Dr. Alyssa Berlins fünf entscheidende Grundsätze für glückliche Eltern und eine wirksame Erziehung:
- So etwas wie zu viel Liebe und Zuneigung (emotionaler und/oder körperlicher Art) gibt es nicht. Also: Nur zu! Zuneigung ist das Fundament, um eine emotionale Bindung zu Ihrem Kind zu schaffen. Die Faustregel lautet 4:1. Sie sollten darauf abzielen, mindestens vier positive Momente emotionaler Verbundenheit für jede einzelne negative Interaktion schaffen, die Sie mit Ihrem Nachwuchs haben. Da körperliche Zuneigung so wichtig für die Entwicklung Ihres Kindes ist, sollten Sie darauf achten, zwei Momente körperlicher Zuneigung pro Tag zu schaffen. Beachten Sie, dass es automatisch mehr Gelegenheiten für körperliche Nähe gibt, wenn die Kinder noch klein sind, weil sie dann eher dazu neigen, zu Ihnen zu kommen, um Sie zu umarmen oder sich anzuschmiegen. Wenn Ihre Sprösslinge größer werden, werden Sie kreativere Methoden finden müssen, um solche Bindungen zu schaffen. Wir sollten immer darauf achten, wie und wann unsere Kinder Zuneigung suchen. Die Tage, wo sie Ihnen am Parkplatz einen Abschiedskuss geben, sind vielleicht irgendwann vorbei, und an ihre Stelle tritt vielleicht ein „Gib mir fünf!“ oder mein persönlicher Favorit: die Mamafaust.
- Beharrlichkeit und Konsistenz währen am längsten. Es gibt tausende ganz wunderbarer Erziehungsratschläge da draußen, und alle haben eine etwas andere Sichtweise zum Thema. Egal, welche Sichtweise Sie nun heranziehen, sind es letztlich doch immer die Beharrlichkeit und Konsistenz, mit der Sie eine Methode anwenden, die über den Erfolg Ihrer Methode entscheiden. Ich kann Sie aber nur davor warnen, Ihre Gefühle auf Ihren Nachwuchs zu projizieren. Im Gegensatz zu Erwachsenen, die sich durch Regeln unter Druck gefühlt setzen könnten, helfen Regeln Kindern dabei, aufzublühen, weil sie in einem sicheren und stabilen Umfeld aufwachsen. Wenn Sie dem Willen Ihrer Sprösslinge nachgeben, zeigen Sie damit nur, dass Ihre eigenen Regeln gar nicht so wichtig sind. Achten Sie aber dennoch darauf, dass keine Regel ohne Grund besteht, und lassen Sie auch kleine Änderungen oder Ausnahmen zu, wenn es nötig ist. In einem konsistenten und vorhersehbaren Umfeld werden Regeln eher eingehalten (auch wenn Kinder natürlich immer noch die Grenzen ausloten). Ihre Worte werden größeres Gewicht haben, und Sie werden große Fortschritte machen, wenn es darum geht, Trotzanfälle zu verhindern.
Gleichheit ist nicht dasselbe wie Gerechtigkeit. Das ist etwas, was Kinder nicht immer leicht verstehen, und ich glaube, dass auch manche Eltern Probleme damit haben, das in ihren Kopf zu bekommen. Viele Eltern denken: „Wenn ich X für ein Kind kaufe, ist es doch nur gerecht, wenn ich x für alle meine Kinder kaufe.“ Betrachten wir uns dieses Konzept aber mal aus einem anderen Blickwinkel. Wenn ein Kind wegen einer Augeninfektion Augentropfen braucht, werden Sie dann auch zu allen anderen Kindern gehen, und ihnen Augentropfen verabreichen? Wohl kaum. Gleichheit und Gerechtigkeit ist also nicht dasselbe. Bei uns zuhause heißt es deshalb eher: „Jeder kriegt, was er braucht.“
- Wirksame Erziehung funktioniert vor allem mit Durchsagen. Niemand wird gerne belehrt, vor allem Kinder nicht, und vor allem nicht dann, wenn eine Lektion oder ein Grundsatz, den Sie vermitteln wollen, auf etwas abzielt, was Ihr Nachwuchs falsch gemacht hat. Versuchen Sie also lieber wie eine öffentliche Durchsage zu klingen, und versuchen Sie sie in ruhigen Zeiten, in denen nichts passiert, entscheidende Dinge zu vermitteln, beispielsweise: „Es ist wichtig, zweimal am Tag die Zähne zu putzen“ oder „Gleichheit ist nicht Gerechtigkeit“. Seien wir ehrlich: Wir hören eher dann hin, wenn wir nicht das Gefühl haben, die Lektion sei dazu gedacht, auf unsere Fehler hinzuweisen. Überlegen Sie sich also eine Regel oder ein Prinzip, das Ihnen wichtig ist, und suchen Sie nach Methoden, um dieses Konzept in Ihre täglichen Interaktionen mit den Kindern einfließen zu lassen (was übrigens auch bei Partnern ganz gut funktioniert!).
- Richten Sie Ihre Erziehung nicht nach der Meinung anderer. Interaktionen mit Ihrem Kind sind normalerweise mit mehr Stress und Angst verbunden, wenn andere um uns herum es mitbekommen. Es ist allerdings von entscheidender Wichtigkeit, unserem Nachwuchs ein konsistentes Bild davon zu vermitteln, was akzeptabel ist, und was nicht, und uns nicht davon beeinflussen zu lassen, ob andere dabei zugucken. Es kann schließlich gut sein, dass ein außenstehender Betrachter, der scheinbar nicht unserer Meinung ist, uns eigentlich nur zu gut verstehen kann, weil er das selbst schon so erlebt hat. Wenn wir uns nun vorstellen, dass er uns unterschwellig eher zustimmt, als uns verurteilt, wird das gleich die ganze Spannung aus der Situation nehmen, und uns offen ansprechen lassen, was an dem Verhalten des Kindes problematisch ist.
Dr. Alyssa Berlin ist klinische Psychologin mit Spezialisierung auf pränatale und postnatale Psychologie. Sie arbeitet vor allem mit Frauen und ihren Partnern an Angststörungen und Stimmungsschwankungen während der Schwangerschaft, postnataler Depression und Verstimmungen sowie komplexen Problemen, die bei frischgebackenen und werdenden Eltern auftreten. Sie schreibt auch Beiträge zum Projekt Dr. Elliot Berlin’s Informed Pregnancy®

