
Spinale Muskelatrophie (SMA) ist eine progressive neurodegenerative Erkrankung, die bereits vor der Geburt einsetzt. Wissenschaftler des St. Jude Children’s Research Hospital leiteten die erste Behandlung von SMA im Mutterleib mit dem oral verabreichten Medikament Risdiplam. Mehr als zwei Jahre nach der Geburt des Kindes wurden keine erkennbaren Merkmale einer spinalen Muskelatrophie beobachtet.
Diese Studie zeigt, dass eine pränatale Behandlung von SMA möglich ist, und unterstützt weitere Untersuchungen dieses Ansatzes. Die Ergebnisse wurden in einem Brief an das New England Journal of Medicine veröffentlicht. „Unsere Hauptziele waren Durchführbarkeit, Sicherheit und Verträglichkeit, daher freuen wir uns sehr, dass es Mutter und Kind gut geht“, sagte der korrespondierende Autor der Studie, Dr. Richard Finkel, Direktor des St. Jude Center for Experimental Neurotherapeutics und Mitglied der Abteilung für Pädiatrie. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass es sich lohnen würde, die Anwendung pränataler Interventionen bei SMA weiter zu untersuchen.
Spinale Muskelatrophie: ein einzigartiges klinisches Protokoll
Spinale Muskelatrophie wird durch einen Mangel an Überlebensmotor-Neuronenprotein verursacht und tritt in den USA bei etwa einer von 11.000 Geburten auf. Wenn sie nicht behandelt wird, führt SMA Typ 1 (SMA-1), die häufigste und schwerste Form, zu einer fortschreitenden Muskelschwäche, die den Tod verurscht. Derzeit haben Behandlungen für SMA-1 bei Säuglingen eine verbesserte Überlebensrate und Motorik gezeigt, insbesondere wenn sie kurz nach der Geburt verabreicht werden, bevor die Symptome beginnen. Eine Heilung ist jedoch nicht möglich.
Das Überlebens-Motoneuron-Protein wird vor allem im dritten Trimester der fetalen Entwicklung und in den ersten drei Lebensmonaten nach der Geburt benötigt. Die Schwere der Symptome hängt daher eng mit dem Zeitpunkt der Intervention zusammen. Aufgrund dieses klinischen Bedarfs haben die Forscher des St. Jude Children’s Research Hospital im Rahmen der Pediatric Translational Neuroscience Initiative ein einzigartiges klinisches Protokoll zur Untersuchung von Risdiplam an einem einzelnen Patienten eingeführt. Ziel war es, die Durchführbarkeit einer Behandlung für einen Fötus mit SMA-1 im Mutterleib zu ermitteln.
Die Eltern in diesem Fall waren beide bekannte Träger von SMA-Genvarianten und hatten bereits ein Kind mit SMA-1, das im Alter von 16 Monaten verstarb, bevor aktuelle Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung standen. Genetische Tests, die mittels Amniozentese durchgeführt wurden, bestätigten, dass der Fötus keine Kopien des Gens für überlebensfähige Motoneuronen aufwies, was in Kombination mit der Familiengeschichte und anderen genetischen Informationen eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür ergab, dass das Kind mit SMA-1 geboren werden würde. Risdiplam wurde der werdenden Mutter in den letzten sechs Wochen der Schwangerschaft verabreicht.
Sichere und vielversprechende Ergebnisse fördern die zukünftige Forschung
Kurz nach der Geburt wurden bei dem Säugling drei Entwicklungsstörungen diagnostiziert: ein Ventrikelseptumdefekt (der sich zurückbildete), eine Hypoplasie des Sehnervs und eine Asymmetrie des Hirnstamms, was zu entsprechenden Verzögerungen beim Sehvermögen und der allgemeinen Entwicklung führte. Diese Anomalien traten vermutlich bereits in einem frühen Stadium der fetalen Entwicklung auf, bevor der Fötus mit Risdiplam behandelt wurde. Das Kind ist jetzt zweieinhalb Jahre alt und wird weiterhin regelmäßig im St. Jude überwacht. Im Verlauf der Untersuchung haben die Forscher wirklich keine Anzeichen für eine spinale Muskelatrophie festgestellt. Die Forschungsergebnisse belegen die Sicherheit und Durchführbarkeit des Ansatzes und sprechen für eine umfassendere Studie.

