Gastbeitrag: Kathy Radigan
Wörter fielen mir schon immer zu. Laut meinen Eltern habe ich bereits mit 18 Monaten in kompletten Sätzen gesprochen. Mit 2 Jahren verbesserte ich die Aussprache meiner Oma, als sie „Santa Claus“ sagte.
Wörter fielen mir leicht. Meine Stimme war eine andere Sache. Ich fand sie erst, als ich Mutter wurde.
Ich war eine schüchterne, unsichere Frau. Aufgrund meiner Legasthenie, die mein (Schul-)Leben erschwerte, entwickelte ich mich zu einer äußerst vorsichtigen Person. Ich hatte Angst, dass die Leute erfahren würden, wie dumm ich bin, wenn ich meinen Mund öffne.
Ich wollte lieber sterben als jemanden wissen zu lassen, was ich wirklich dachte oder fühlte.
Während meiner 20er und frühen 30er wurde ich immer sicherer in meiner Haut. Ich lernte, dass ich eine kluge, fähige Frau bin. Ich war wertvoll und fand meine Stimme. Für mich selbst einzustehen fiel mir jedoch immer noch schwer. Ich wollte immer noch gemocht und als „gutes Mädchen“ angesehen werden.
Dann hatte ich meine erste Fehlgeburt. Danach einen zweiten, dritten und vierten Verlust. Plötzlich war es wichtiger, ein gesundes Baby zu haben als die perfekte Patientin zu sein. Als ich fast zwei Jahre nach meiner ersten Fehlgeburt endlich meinen Sohn in meinen Armen hielt, war mir das sorgfältig aufgebaute Good Girl-Image total egal. Wenn ich das Gefühl hatte, dass etwas falsch lief, kontaktierte ich meinen Arzt. Meine Angst davor, blöd dazustehen oder jemanden zu stören wurde von etwas viel Größerem überlagert – den Bedürfnissen meines ungeborenen Kindes.
Ich las alles, was ich über Fehlgeburten finden konnte. Wenn ein Spezialist empfohlen wurde, nahm ich das Telefon und löcherte den Arzt oder das Krankenhaus mit Fragen. Menschen antworteten mir und ich merkte, wie meine Gabe für Wörter mir beim Kontakt mit Menschen und der Suche nach Informationen half.
Als mein Sohn älter wurde und sich herauskristallisierte, dass sich seine Sprache spät entwickelte, merkte ich, dass diese Fähigkeit sehr praktisch war. Ich war furchtlos, wenn es darum ging, ihm jene Hilfe zu beschaffen, die er benötigte. Ich hatte keine Angst mehr davor, Ärzte und andere Autoritätspersonen auszufragen. Ich tat dies nun ohne mit der Wimper zu zucken.
Was mich noch mehr erstaunte war die Tatsache, dass die Menschen mir auch tatsächlich zuhörten. Ärzte, Lehrer und Therapeuten, mit denen ich zu tun hatte, waren sehr offen für meine Fragen und meinen Spürsinn.
Sie sahen kein verunsichertes Mädchen mit Legasthenie, sondern eine intelligente, belesene Mutter, die alles tun würde, um ihren Kindern jene Hilfe teilwerden zu lassen, die sie benötigten. Und sobald ich das Gefühl hatte, dass meine Sorgen nicht ernstgenommen wurden, hatte ich kein Problem damit, die entsprechenden Personen dies wissen zu lassen und einen Ersatz zu finden.
Ich war nun Mutter und so etwas Triviales wie meine Angst, blöd dazustehen, konnte meinen Vorsatz, meinen Kindern eine angemessene Betreuung zukommen zu lassen, nicht im Weg stehen.
Wie sich zeigte, war diese Fähigkeit sehr wichtig, da jedes unserer drei Kinder mit Lernproblemen zu kämpfen hat. Meine Tochter hat sehr ausgeprägte besondere Bedürfnisse.
Ich bin ihr Anwalt mit Stimme geworden und wurde Zeuge, wie alle meine drei Kinder Dinge erreichten, die andere Leute nicht für möglich gehalten hätten.
Mir wurde ein Gespür für Wörter zwar in die Wiege gelegt, ich musste jedoch erst Mutter werden, um meine Stimme zu finden.
Kathy Radigan ist Ehefrau, Mutter von drei Kindern, Besitzerin eines besessenen Küchengeräts und Gründerin des Mama-Blogs MyDishwashersPossessed.