Postnatale Depression
Es ist der schönste Augenblick im Leben einer Frau: Die Geburt eines Kindes zählt zu den unvergesslichen, ganz besonderen Erlebnissen. Aber nicht immer. Denn manchmal stürzt gerade dieses freudige Ereignis junge Mütter in tiefe Verzweiflung. Gefühle der Hoffnungslosigkeit und Sorgen darüber, der großen Verantwortung nicht gewachsen zu sein, machen sich breit. Darüber hinaus kommen Schuldgefühle hoch, sich nicht in jenem Maße über das Baby zu freuen, wie es sich „gehört“.
Meist schaffen es Betroffene längere Zeit, eine glückliche Fassade − zumindest nach außen − aufrechtzuerhalten. Zu groß ist die Angst, aber auch die Scham, dass das Umfeld mit Unverständnis reagiert. Ein Teufelskreis setzt sich damit in Gang, aus dem die Frauen ohne professionelle Hilfe nicht herauskommen.
Fühlen auch Sie sich unglücklich und zutiefst verzweifelt mit Ihrer Situation als junge Mutter? Machen Sie sich bewusst: Sie sind damit nicht allein. Suchen Sie Hilfe. Denn worauf es ankommt: die Depression so schnell wie möglich zu erkennen und zu behandeln. Zum Ihrem Wohl als auch dem Ihres Kindes.
Baby-Blues – das postnatale Stimmungstief
Unbedingt abzugrenzen von einer postnatalen Depression, ist übrigens die Wochenbettdepression: Gerade in den ersten Tagen nach der Geburt kämpfen viele Frauen mit dem sogenannten Baby-Blues. Typisch dafür: eine große Traurigkeit, begleitet von unkontrolliertem Weinen, Niedergeschlagenheit, Gereiztheit und immense Müdigkeit. Meist treten diese Symptome zwischen dem dritten und siebten Tag nach der Entbindung auf, verschwinden im Normalfall aber nach rund 10 Tagen von alleine wieder.
Häufig sind es die neuen Lebensumstände, aber auch die plötzliche Hormonumstellung, die für das vorübergehende Stimmungstief verantwortlich zeichnen. Bedenken Sie: Nicht nur Sie müssen sich an die neue Situation gewöhnen, auch Ihr Körper braucht Zeit, um sich daran anzupassen. Dies ist ein ganz natürlicher und normaler Vorgang.
Wichtig: Holen Sie sich Hilfe! Wenden Sie sich an Familie und Freunde, die Ihnen in den ersten Tagen nach der Geburt beistehen und Sie unterstützen.
Die Symptome einer postnatalen Depression entwickeln sich schleichend und sind oft nicht leicht zu erkennen. Zumeist treten sie in den ersten vier Wochen nach der Geburt auf, manchmal aber erst sehr viel später, d.h. innerhalb eines Jahres. Typische Anzeichen sind:
- Angstgefühle und Panikattacken
- Antriebslosigkeit und Erschöpfung
- Essstörungen
- Fehlendes Interesse am Kind
- Freud- und Lustlosigkeit
- Hilflosigkeit
- Konzentrationsstörungen
- Körperliche Beschwerden
z.B. Schwindel; Ohnmachtsgefühle; Schmerzen, etwa in Kopf oder Brust; Rückenbeschwerden und hartnäckige Verspannungen - Reizbarkeit und große Ungeduld
- Schlafstörungen und immense Müdigkeit
- Schuldgefühle
- Suizidgedanken
- Traurigkeit
- Zwangsvorstellungen
z.B. Angst, Ihr Kind zu verletzen, etwa beim Baden
Die Ursachen dafür, warum manche Frauen an einer postnatalen Depression erkranken, sind vielfältig. Seit Jahren beschäftigen sich Wissenschafter mit den dafür verantwortlichen Faktoren. Auslöser, die sich oft auch gegenseitig beeinflussen, können demnach sein:
Psychosoziale Faktoren
Frauen, die nach einer vorangegangen Geburt schon einmal unter einer postnatalen Depression litten, tragen ein erhöhtes Risiko, erneut daran zu erkranken. Auch psychische Erkrankungen vor oder während der Schwangerschaft können ein Auslöser sein.
Ein traumatisches Geburtserlebnis, etwa, weil ein Kaiserschnitt statt einer natürlichen Geburt durchgeführt werden musste, kann ebenfalls eine postnatale Depression verursachen. Beginnt der Alltag mit dem Neugeborenen, können Leistungsdruck und Überforderung schnell in einer Depression münden – besonders, wenn die soziale Unterstützung des Umfeldes fehlt. Davon betroffen sind vor allem alleinerziehende Frauen.
Circadiane Rhythmusstörungen
Untersuchungen zeigen, dass auch ein gestörter circadianer Rhythmus verantwortlich für eine postnatale Depression sein kann. Darunter versteht man einen biologischen Rhythmus, der ca. 24 Stunden dauert. Viele wichtige Prozesse in unserem Körper werden davon gesteuert, etwa die Produktion wichtiger Hormone oder unsere Schmerzempfindlichkeit.
Unser wichtigster circadianer Rhythmus ist der Schlaf-Wach-Zyklus mit Melatonin, jenem Hormon, das diesen Rhythmus steuert. Auch Ernährung und Bewegung sind wichtige Faktoren, um den inneren Rhythmus im Gleichgewicht zu halten. Gerade in der Schwangerschaft und in den ersten Monaten nach der Geburt gerät aber oft genau dieses Trio – Schlaf, gesunde Ernährung, Bewegung – aus dem Takt.
Natürlich ist es normal, dass Ihr Schlaf gerade in den ersten Lebensmonaten Ihres Kindes unterbrochen wird. Wenn Sie dann allerdings nicht mehr einschlafen können oder auch zu früh am Morgen erwachen, kann sich das auf Ihre (mentale) Gesundheit auswirken. Viele Studien haben bereits einen Zusammenhang hergestellt zwischen chronischem Schlafmangel und (postnataler) Depression.
Hormonelles Ungleichgewicht
Hormonell bedeuten Schwangerschaft und Geburt einen Ausnahmezustand für den weiblichen Körper. Befinden sich viele Hormone, wie zum Beispiel Östrogen, Gestagene wie Progesteron oder Humanes Choriongonadotropin (kurz HCG genannt) rund 40 Wochen lang auf einem absoluten Höchststand, fallen diese hohen Werte kurz nach der Entbindung rapide ab. Viele Frauen reagieren darauf besonders sensibel. Vor allem, weil viele weitere Hormone, die für Energie und stabile Stimmung sorgen oder angstlösende Wirkung haben, ebenfalls davon betroffen sind, aber auch solche, die für die circadiane Rhythmik verantwortlich sind.
DHEA
Reduzierte Stressbelastbarkeit und Libido, Depressivität, Unruhe und Gereiztheit – ein Mangel des Steroidhormons Dehydroepiandrosteron (DHEA) zeigt zahlreiche Symptome. Dabei wird die Bedeutung dieses Anti-Stress-Hormons, das vor allem in der Nebennierenrinde gebildet wird, oft unterbewertet – und das, obwohl es eine Vorstufe vieler wichtiger Hormone ist, darunter Östrogen! Gerade Stresssituationen, in denen vom Körper vermehrt Cortisol produziert wird, scheinen den DHEA-Wert gleichzeitig zu reduzieren, eine nicht zu unterschätzende Wechselwirkung!
Behandlung
Idealwert:
Der optimale DHEA-Sulfat-Wert liegt zwischen 2000-2800 ng/ml.
Dosierung:
Je nach aktuellem Ausgangwert wird die folgende Dosierung empfohlen:
Wert <900 ng/ml: 15-20 mg
900-1200 ng/ml: 5-10 mg
1300-1600 ng/ml: 2,5-5 mg
Nach 4-6 Wochen hat sich eine erste Kontrolle 3-4 Stunden nach der Einnahme bewährt.
Melatonin
Wie Sie schon gehört haben, werden circadiane Rhythmusstörungen oft mit einer postnatalen Depression in Verbindung gebracht. Die Folge: Schlafstörungen, die allerdings – wenn sie chronisch werden – zu ernsten gesundheitlichen Konsequenzen führen können. Am besten messen lässt sich Ihre circadiane Rhythmik durch das Nachthormon Melatonin.
Untersuchungen an Frauen, die an einer postnatalen Depression leiden, haben beobachtet, dass ihr sogenannter DLMO – Dim-Light-Melatonin-Onset, d.h. der Beginn ihres nächtlichen Melatoninanstiegs, verzögert ist: Schlafstörungen sind dadurch vorprogrammiert.
Zu beachten ist auch, dass die Freisetzung von Melatonin in enger Wechselwirkung mit Hormonen wie Östrogen und Progesteron steht. Ein ausgeglichener Hormonhaushalt ist demnach eine wichtige Voraussetzung, um Ihren gesunden circadianen Rhythmus zu erhalten.
Behandlung
Kombinierte Hormonersatztherapie
Gute Erfolge, vor allem, um eine Phasenverschiebung zu erreichen, wie sie bei DLMO angebracht ist, hat eine individuell abgestimmte Melatonin- und/oder Lichttherapie ergeben, womit der Rhythmus wieder neu eingestellt werden kann.
Dafür wird der Melatoninwert anhand von Blut, Speichel oder Urin bestimmt, und die Substitution dann individuell dosiert. Wichtig: Auch ein möglicher Serotoninmangel muss ebenfalls mitüberprüft und möglicherweise entsprechend ausgeglichen werden.
Dosierung Melatonin:
Leichte Einschlafstörungen: 1-2 mg schnell freisetzendes Melatonin abends
Mäßige Ein- und Durchschlafstörungen: 3 mg pulsatiles Melatonin abends
Östrogen und Progesteron
Wichtige Regler für unseren circadianen Rhythmus sind auch die Hormone Progesteron und Östrogen.
Fällt nach der Geburt der Östrogenspiegel zu rasch, kann dies bei manchen Frauen zu Unruhe und Gereiztheit, labiler Stimmung, Depressivität und Schlaflosigkeit führen.
Progesteron, das Gelbkörperhormon, hat eine ähnliche Wirkung wie Östrogen: Mit seinem beruhigenden und angstlösenden Effekt unterstützt es das Ein- und Durchschlafen bei Stress, Unruhe oder Sorgen. Sinkt es nach der Geburt drastisch ab, kann dies mit ein Grund für eine postnatale Depression sein.
Behandlung
Individuelle Hormonersatztherapie
Mit einer „Physiologischen Hormonersatztherapie“ wird das richtige Verhältnis zwischen Östrogen und Progesteron wiederhergestellt. Dabei wird sogenanntes humanphysiologisches Östrogen durch 17ß-Estradiol in Form von Gel, Pflaster oder Creme individuell angepasst. Der Vorteil: Diese Darreichungsform benötigt eine nur geringe Östrogendosis bei maximaler Wirkung.
Progesteron wird ebenfalls physiologisch verabreicht, bevorzugt in Kapselform. Auch dafür ist eine individuell abgestimmte Dosierung angeraten. Im Falle von schweren Angststörungen oder Panikattacken haben sich Gaben von 100 mg Progesteron im Abstand von 4-12 Stunden bewährt. Leiden Sie an stressbedingten Schlafstörungen, können 100-300 mg Progesteron, abends eingenommen, effizient Abhilfe schaffen.
Schilddrüsenhormone
Sowohl eine Schilddrüsenunter- als auch eine -überfunktion können nach der Geburt dazu führen, dass junge Mütter unter Angst, Panikattacken, Unruhe, Depressionen und kognitiven Beeinträchtigungen leiden. Bedeutend häufiger tritt im Rahmen einer postnatalen Depression jedoch eine Unterfunktion (Hypothyreose) auf, oftmals sogar erst mehrere Monate nach der Geburt.
Wenn die Schilddrüse Thyroxin und Trijodthyronin nicht mehr in ausreichenden Mengen produzieren kann, hat dies Auswirkungen auf wichtige Stoffwechselprozesse, die dann meist verlangsamt funktionieren. Antriebsschwäche und Gewichtszunahme sind neben den oben genannten, weitere typische Begleiterscheinungen.
Behandlung
Nach der Bestimmung des TSH-Wertes im Blut, idealerweise in Kombination mit den T3- und T4-Werten, kann die etwaige Unterfunktion durch eine individuelle Hormonsubstitution ausgeglichen werden.
Serotonin
Serotonin ist unser körpereigenes Glückshormon, das unsere Stimmung hebt. Schon lange ist bekannt, dass ein Serotoninmangel sehr oft verantwortlich ist für Schlafstörungen, Depressionen, Antriebslosigkeit oder Fatigue, d.h. schwere Abgeschlagenheit.
Wird zu wenig Serotonin produziert, setzt sich außerdem ein Schneeballeffekt in Gang: Da aus Serotonin am Abend das Nachthormon Melatonin gebildet wird, kann ein Serotonindefizit auch zu einem Mangel an Melatonin und damit zu Schlafstörungen führen. Zudem beeinflusst Serotonin zahlreiche Funktionen im zentralen Nervensystem, beispielsweise Emotionen, Schmerzempfinden, aber auch Schlaf-Wach-Verhalten.
Wichtig in diesem Zusammenhang: Ein Mangel an DHEA oder Progesteron führt oft auch zu einem Mangel an Serotonin! Auch ein starker Östrogenabfall kann sich auf den Serotoninhaushalt auswirken, ebenso wie chronischer Stress.
Behandlung
Idealwert:
Der ideale Normalwert von Serotonin liegt bei 200 ng/ml (im Bereich 120-480 ng/ml).
Neben der Bestimmung des Serotoninspiegels müssen auch die Werte von Östrogen, Progesteron und DHEA berücksichtigt werden.
Dosierung:
Serotonin kann vom Körper als solches nicht aufgenommen werden, daher müssen Vorstufen wie 5 HTP und/oder Tryptophan verabreicht werden, die dann im Körper in Serotonin umgewandelt werden.
Leichte Depression: 200-300 mg schnell freisetzendes 5HTP morgens
Mittlere Depression: 50 mg schnell freisetzendes 5HTP plus 250 mg retardiertes Tryptophan morgen und ggf. mittags
Nach 4-6 Wochen hat sich eine erste Kontrolle bewährt.
Reden hilft
Wenden Sie sich bei ersten Anzeichen einer postnatalen Depression an Ihren Arzt oder Ihre Hebamme. Mit diesen können Sie abklären, welche Art der psychotherapeutischen Behandlung am besten für Sie geeignet ist.
Lassen Sie Ihren Hormonstatus überprüfen
Produziert Ihr Körper nach der Geburt zu wenig an wichtigen Hormonen wie Melatonin, Östrogen, Progesteron oder Seratonin, kann dies ernste Konsequenzen für Ihre Gesundheit haben. Eine Überprüfung Ihres Hormonhaushalts mit anschließender angepasster Medikation kann Ihnen helfen, rasch zu Ihrem inneren Gleichgewicht zurückzufinden, damit Sie die Zeit mit Ihrem Baby in vollen Zügen genießen können.
Lassen Sie sich behandeln − zum Wohl Ihres Kindes
Gerade die ersten Lebensjahre sind für Ihr Kind eine prägende Zeit. Wird eine postnatale Depression nicht behandelt, kann dies für Ihren Nachwuchs ernste Konsequenzen haben, darunter Entwicklungsverzögerungen oder emotionale und kognitive Defizite. Auch Ihre Mutter-Kind-Beziehung kann dauerhaft beeinträchtigt werden.
Achten Sie auf einen geregelten Rhythmus
Nicht nur der geregelte Rhythmus Ihres Kindes ist wichtig, auch Sie selbst sollten darauf achten, regelmäßig zu essen. Vergessen Sie nicht auf Bewegung in der freien Natur: Ein Spaziergang mit dem Kinderwagen bringt auch Ihrem Nachwuchs eine wichtige Dosis frische Luft. Danach werden Sie beide umso besser schlafen. Versuchen Sie es!
Nehmen Sie sich Zeit zum Ausruhen
Denken Sie daran: Sie brauchen vor allem im ersten Lebensjahr Ihres Babys viel Energie. Planen Sie, wenn möglich, täglich bewusste Ruhephasen ein, zum Beispiel, wenn Ihr Kind schläft. Der Haushalt kann warten: Wichtiger ist, dass Sie immer wieder Kraft und Energie tanken!
Gönnen Sie sich eine Auszeit
Gerade in den ersten Lebensmonaten sind Sie als junge Mutter rund um die Uhr für Ihr Baby da, Zeit für den längst fälligen Friseurbesuch, für Hobbys, aber auch, um Freunde zu treffen, bleibt dann kaum. Regelmäßig, ein, zwei Stunden für sich alleine zu haben, bedeutet für viele Frauen auf den ersten Blick einen unmöglichen Luxus. Dieser „Kurzurlaub“ ist aber enorm wichtig für Sie. Bitten Sie Familie und Freunde um Hilfe. Sie werden sehen: Es lohnt sich! Sie sind nach Ihren kurzen Auszeiten wieder voller Energie.
Suchen Sie soziale Kontakte
Treffen Sie sich mit Familie und Freunden, knüpfen Sie neue Kontakte zu jungen Müttern. Der Austausch mit anderen Menschen wird Ihnen guttun – und auch Ihrem Kind.
Literaturtipps:
Shields, Brooke. Ich würde dich so gerne lieben: Über die große Traurigkeit nach der Geburt. Verlag Marion von Schröder 2006.
Linktipps:
Netzwerk Krise nach der Geburt