Einer Gruppe von Wissenschaftlern des UCL ist es gelungen, mechanische Kraftsensoren direkt im sich entwickelnden Gehirn und Rückenmark von Hühnerembryonen zu entwickeln. Die Forscher hoffen, dass dies zu einem besseren Verständnis und zur Vorbeugung von Geburtsfehlbildungen wie Spina bifida führen wird. Die in Nature Materials veröffentlichte Studie, die in Zusammenarbeit mit der Universität Padua und dem Veneto Institute of Molecular Medicine (VIMM) durchgeführt wurde, nutzt innovative Biotechnologien, um jene mechanischen Kräfte zu messen, die der Embryo während seiner Entwicklung ausübt.
Forschungen könnten helfen, angeborene Fehlbildungen wie Spina bifida zu verhindern
Diese Kräfte sind entscheidend für die Bildung von Organen und anatomischen Systemen, wie z. B. die Bildung des Neuralrohrs, aus dem das zentrale Nervensystem hervorgeht. Etwa eines von 2.000 Neugeborenen in Europa ist jedes Jahr von angeborenen Rückenmarksfehlbildungen betroffen. Obwohl diese Fehlbildungen seit Jahrzehnten erforscht werden, lassen sie sich durch molekulare und genetische Studien alleine nicht vollständig erklären. Daher untersuchen die Forscher jetzt die physikalischen und mechanischen Kräfte im Gewebe während der Embryonalentwicklung. Dies kann jedoch eine Herausforderung sein, da das embryonale Rückenmark winzig ist – zu klein, um mit bloßem Auge gesehen zu werden – und äußerst empfindlich. Kraftmessgeräte müssen daher ähnlich klein und weich sein, um das normale Wachstum nicht zu stören.
Um diese Schwierigkeiten zu überwinden, druckten die Forscher winzige Kraftsensoren (etwa 0,1 mm breit) in 3D direkt in das sich entwickelnde Nervensystem von Hühnerembryonen. Diese Kraftsensoren bestehen zunächst aus einer Flüssigkeit, die direkt auf die sich entwickelnden Embryonen aufgetragen wird. Wenn sie einem starken Laser ausgesetzt werden, verwandelt sich die Flüssigkeit in einen federartigen Festkörper. Dieser Festkörper haftet am wachsenden Rückenmark der Embryonen und wird durch die von den Zellen des Embryos erzeugten mechanischen Kräfte verformt. Auf diese Weise konnten sie die winzigen Kräfte – etwa ein Zehntel des Gewichts einer menschlichen Wimper – messen, die Embryonen aufbringen müssen, um das Rückenmark zu bilden. Für eine normale embryonale Entwicklung müssen diese Kräfte größer sein als die entgegengesetzten negativen Kräfte.
Die Quantifizierung der Kräfte würde es den Forschern ermöglichen, Medikamente zu erforschen, die die positiven Kräfte ausreichend verstärken oder die negativen Kräfte verringern, um angeborene Fehlbildungen wie Spina bifida zu verhindern. Solche Medikamente könnten auch die Vorteile der Folsäurezufuhr ergänzen – eine bewährte Strategie zur Verhinderung von Entwicklungsproblemen vor und während der Schwangerschaft. Die Hauptautorin und Marie-Sklowdowska-Curie-Postdoktorandin Dr. Eirini Maniou (UCL Great Ormond Street Institute of Child Health und Universität von Padua) gibt an, dass dank der Verwendung neuartiger Biomaterialien und fortschrittlicher Mikroskopie diese Studie eine Wende auf dem Gebiet der embryonalen Mechanik verspricht, und den Grundstein für ein einheitliches Verständnis der Entwicklung legt. Diese Arbeit ebnet den Weg zur Identifizierung neuer präventiver und therapeutischer Strategien für Fehlbildungen des zentralen Nervensystems.
Die Forschergruppe hat auch gezeigt, dass dieselbe Technologie auf menschliche Stammzellen angewendet werden kann, die sich zu Rückenmarkszellen entwickeln. Dies würde in Zukunft einen Vergleich zwischen den Stammzellen gesunder Spender und denen von Patienten mit Spina bifida ermöglichen, um zu verstehen, warum manche Menschen die Krankheit entwickeln. Laut der Mitautorin der Studie, Dr. Gabriel Galea, ist diese Technologie sehr vielseitig und in vielen Forschungsbereichen anwendbar, und man hofft, dass sie schnell von anderen Gruppen übernommen und angewendet wird, um grundlegende Fragen zu klären. Diese Entdeckung ermöglicht laut den Experten nicht nur ein besseres Verständnis der mechanischen Kräfte, die während der Embryonalentwicklung wirken, sondern bietet auch neue Perspektiven für das Eingreifen und die Vorbeugung von Krankheiten wie Spina bifida.