Jeder fünfte Deutsche erleidet einmal im Leben eine Depression, wobei Frauen fast doppelt so häufig betroffen sind wie Männer.
Neue Forschungsergebnisse, die im Magazin Biological Psychiatry Journal veröffentlicht wurden, beschreiben, wann und wie sich das Risiko während der Gehirnentwicklung bei Frauen und Männern ändert, wenn es um psychiatrische Erkrankungen wie Angstzustände und Depression geht. Die Studie vertritt die These, dass Stress während der Schwangerschaft die Gehirnkonnektivität des sich entwickelnden Fötus verändern kann, was bedeutet, dass die Anfälligkeit für die Entwicklung einer Stimmungsstörung schon vor der Geburt programmiert wird.
Schwangerschaft und hohe Cortisolspiegel
Ein Gemeinschaftsteam der University of California Irvine, der Medizinischen Universität Charité Berlin und der OHSU in Portland, Oregon, entdeckte, dass ein hoher Spiegel des Stresshormons Cortisol während der Schwangerschaft depressive und ängstliche Verhaltensweisen bei Mädchen im Alter von zwei Jahren verstärkt. Dieser Effekt, den das erhöhte Cortisol der Mutter auf das Verhalten des Kindes hat, scheint auf die stärkeren Kommunikationsmuster zwischen jenen Gehirnregionen zurückzuführen zu sein, die eine wichtige Rolle bei der sensorischen und emotionalen Verarbeitung spielen.
Alice Graham, Postdoktorandin an der OHSU School of Medicine in Verhaltensneurowissenschaften und Autorin der Studie, stellte fest, dass bei männlichen Nachkommen von Müttern, die während der Schwangerschaft einen hohen Cortisolspiegel aufwiesen, kein Zusammenhang zwischen dem mütterlichen Cortisol und der Stimmung des Kindes besteht, und auch keine stärkere Gehirnverbindung nachzuweisen ist. Sie erklärte auch, dass diese Entdeckungen darauf hindeuten würden, dass es einen potentiellen Weg gebe, durch den in der pränatalen Umgebung hoher Stress zu Unterschieden bei Frauen und Männern führen kann, wenn es um die Anfälligkeit für verschiedene psychiatrische Störungen gehe.
Ergebnisse zu Cortisol
Laut Graham konnte die Studie mütterliches Cortisol in einer verständlicheren Weise als in früheren Untersuchungen messen. Die leitende Autorin Claudia Buss von der University of California Irvine und der Medizinischen Universität Charité in Berlin maß die Cortisolspiegel zusammen mit ihren Kollegen über mehrere Tage im frühen, mittleren und späten Stadium hinweg, um den Gesamtwert besser abschätzen zu können.
Die in die Studie eingeschlossenen Messungen, die an 70 Müttern vorgenommen wurden, zeigten typische Unterschiede im Cortisolspiegel. Anschließend nutzten die Forscher Bilder des Gehirns, um die Konnektivität bei Neugeborenen zu untersuchen, bevor die äußere Umgebung auf die Entwicklung des Gehirns einwirken konnte, und schließlich maßen sie ängstliches und depressives Verhalten der Kinder im Alter von zwei Jahren.
Dabei stellte Buss fest, dass ein höheres mütterliches Cortisol mit Veränderungen der funktionellen Gehirnkonnektivität der Säuglinge einherging, und die Art und Weise beeinflusste, wie verschiedene Hirnregionen miteinander kommunizieren können. Diese veränderte Konnektivität bezog sich auf die Amygdala, eine Region des Gehirns, die eine wichtige Rolle bei der Verarbeitung von Emotionen spielt. Diese Gehirnkonnektivitätsmuster sagen ängstliche und depressive Symptome zwei Jahre in der Zukunft voraus.
Depression und ihre Auswirkungen auf das Neugeborene
Forscher am King’s College London entdeckten, dass Kinder, die von Müttern mit schwerer Depression während der Schwangerschaft geboren wurden, ein verändertes Verhalten sowie andere biologische Stressreaktionen als Kinder von gesunden Müttern zeigten.
Sarah Osbourne, Senior Research Fellow, stellte fest, dass die Forschung zu diesem Thema zwei Bedeutungen habe: Erstens sei es wichtig, die Konsequenzen für Mutter und Kind zu verstehen, da Depressionen nicht ungewöhnlich seien, und 10 Prozent der Frauen während der Schwangerschaft depressives Verhalten zeigen, zweitens gebe diese Art der Forschung Auskunft über den möglichen Mechanismus der Entwicklungsprogrammierung.
Gemessen auf der Skala für das Verhalten von Neugeborenen an Tag 6, zeigten Säuglinge von Müttern, die während ihrer Schwangerschaft eine schwere Depression hatten, im Alter von einem Jahr eine erhöhte Cortisolreaktion im Vergleich zu Säuglingen, die von gesunden Frauen geboren wurden.
Ausblick
Dr. Osbourne merkt an, dass die Studie vorläufige Beweise für wichtige negative Folgen der Depression auf die stressbezogene Biologie von Mutter und Kind habe, und das neonatale Neuroverhalten beeinflusse. Auch wenn die Studie eine Replikation mit einer größeren Probandenzahl erfordere, weist sie darauf hin, wie wichtig es sei, Schwangere aktiv auf Depressionen zu untersuchen, und über die Nutzen und Risiken zu informieren, wenn eine Entscheidung über die Behandlung der Erkrankung bei den Patientinnen getroffen werden müsse.